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In Lohberg muss man Angst haben, wenn man abends auf der Straße unterwegs ist. So lautet eines der gängigsten Vorurteile. Wir haben mit der Polizei und vielen Lohbergern gesprochen.

Das Ergebnis unserer Recherche in Kurzform: Es gibt keinen ernsthaften Grund, abends in Lohberg Angst zu haben. Weder die Polizei noch die befragten Lohberger und Lohbergerinnen konnten von Vorfällen berichten, die Anlass zur Verunsicherung bieten. Aber gleichzeitig stellen wir ebenso fest: Eine große Anzahl von Menschen hat Angst bei der Vorstellung, abends im Stadtteil unterwegs zu sein.

Dennoch bleibt unterm Strich ein Wahrheitsgehalt von, na sagen wir mal: 0,000001 Prozent

Aber von vorne: Angefangen hat es mit dem Entschluss, die gängigen Vorurteile über den Stadtteil genau unter die Lupe zu nehmen, ehrlich und ergebnisoffen. In diesem Sinne auch an euch, liebe Leser, der Hinweis: Solltet ihr der Meinung sein, wir haben in unserer Recherche eine Schlagseite oder haben etwas übersehen, dann schreibt uns an info@lohberg-mittendrin.de!

Klare Ansage der Polizei

Also. Das erste Vorurteil, das wir prüfen, lautet: „In Lohberg muss man Angst haben, nachts über die Straße zu gehen“ Wie wir darauf gekommen sind, beschreibt dieser Text zum Start unser Serie.

Der erste, den wir damit konfrontieren, ist Polizeihauptkommissar Egbert Doernemann, Leiter der Wache in Dinslaken. Er kennt Lohberg schon seit den 80ern und wenn er morgens zur Arbeit fährt, durchquert er den Stadtteil jedes mal. Wir fragen ihn: Herr Doernemann, muss man in Lohberg Angst haben, wenn man abends auf den Straßen unterwegs ist?

Seine Antwort ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten:

„Ganz klar: Dafür gibt es überhaupt keine Anhaltspunkte. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, aber auch von dem, was die Kolleginnen und Kollegen schildern, die dort regelmäßig vor Ort sind. Eine Kollegin ist in ihrer Freizeit regelmäßig abends in Lohberg unterwegs, weil sie dort trainiert. Da gab es noch nie Probleme.“

Polizeihauptkommissar Egbert Doernemann
Polizeihauptkommissar Egbert Doernemann nahm sich eine Stunde Zeit für Mittendrin.

Lohberg, so erfahren wir, sticht im Vergleich zu anderen Stadtteilen im Hinblick auf Sicherheit nicht hervor, weder im Guten, noch im Schlechten.

Dass das Urteil der Polizei stimmt, dafür sprechen auch die Aussagen von Besuchern auf dem Markt. An einem Samstag Mitte März haben wir mit zahlreichen Menschen gesprochen.

Intensive Gespräche auf dem Markt

Bekir und Seray (beide 27) schütteln nur lachend den Kopf. „Wirklich, alles kein Problem“, rufen sie und winken ihre Tante hinzu, die gerade auf dem Markt unterwegs ist. Auch sie muss lachen, als sie davon hört, dass manche Angst haben, hier abends unterwegs zu sein. Seit 50 Jahren lebt sie schon hier. „Und ich habe überlebt“, scherzt sie. Sie fühlt sich sicher im Stadtteil, denn „hier kennt jeder jeden.“

Dieses „Hier kennt jeder jeden“ hören wir öfter. Oft wird Lohberg mit einer großen Familie verglichen. „Ich lebe seit meiner Geburt in Lohberg“, erzählt Ebru (26). Noch nie habe sie einen anderen Ortsteil kennengelernt, wo die Leute so zusammenhalten. „Hier musst du wirklich keine Angst haben“, versichert sie und ihre Schwester nickt dazu entschlossen mit dem Kopf. Einmal sei es abends auf dem Marktplatz laut geworden. „Da haben alle sofort aus dem Fenster gesehen, um zu schauen, was da los ist.“

„Da ist noch nie was passiert“

Ähnlich auch die Schilderung von Emine (47), die oftmals noch nach Einbruch der Dunkelheit das Haus verlässt, um zwei Straßen weiter ihre Mutter zu besuchen. „Das ist dann abends so um 22 Uhr und wenn ich zurückgehe ein, zwei Stunden später. Da ist noch nie was passiert.“

Zahlreiche Kommentare, die uns bei Facebook erreicht haben, gehen in dieselbe Richtung: „Ich fühle mich hier wohl und nein, Angst habe ich nicht, wenn ich nachts raus gehe. Ich kann den ganzen Vorurteilen von Lohberg definitiv widersprechen. Ist man freundlich bekommt man die gleiche Freundlichkeit auch zurück“, schrieb zum Beispiel Katrin Müller in einem Kommentar.

Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass viele Menschen sich unsicher fühlen bei dem Gedanken, nachts in Lohberg unterwegs zu sein. Beeindruckender Beleg dafür ist das Ergebnis einer Umfrage, zu der wir bei Facebook aufgerufen haben. 30 Prozent der Menschen stimmten der Aussage zu „Ja, ich fühle mich unsicher“, der Rest widersprach und sagte sinngemäß „abends in Lohberg – kein Problem“. In konkreten Zahlen heißt das Stand 27.3., 23.30 Uhr: 92 der 307 Leute, die abgestimmt haben, fühlen sich abends in Lohberg unsicher (mal vorausgesetzt sie waren ehrlich).

Das ist aus Lohberger Sicht eigentlich ein trauriges Ergebnis. Woher die Verunsicherung kommt, darüber können wir nur spekulieren. Eigene üble Erfahrungen? Gerüchte? Das schlechte Image? Zumindest im Zusammenhang mit unserer Umfrage ist uns eine Sache aufgefallen: Gepostet haben wir den Aufruf abzustimmen am Freitag, 22. März auf dem Facebook-Account von Mittendrin und dort erst einmal laufen lassen. Nach 24 Stunden fiel die Wertung zunächst freundlich aus. 83 Prozent sagten „Kein Problem“, nur 17 Prozent „fühle mich unsicher“.

Gefühlte Sicherheit

Am Samstagmittag teilten wir die Umfrage dann auch in den großen Dinslakener Gruppen „Wenn du in Dinslaken aufgewachsen bist“ und „Dinslaken aktuell“. Prompt änderten sich die Werte, die Zahl der Lohberg-Skeptiker schnellte in die Höhe. Das erklärt – zumindest zum Teil – woher die Verunsicherung stammen könnte: Die Leute, die in Lohberg leben oder den Stadtteil kennen (und dazu zählen wir die Fans unserer Facebookseite), haben keinerlei oder nur wenig Sorge. Andere kennen den Stadtteil nur vom Hörensagen – und halten sich lieber fern, weil sie Schlechtes über ihn gehört haben. Bei ihnen fällt das Urteil über Lohberg schlecht aus.

Dazu passt auch der Hinweis von Polizeihauptkommissar Doernemann:

„Wenn wir über Angst reden, geht es immer um gefühlte Sicherheit. Seit den Vorfällen Silvester in Köln ist das ein Dauerthema, da sitzt viel Verunsicherung in den Köpfen. Schon eine Ansammlung von jungen Männern kann dann Angst erzeugen. Und wenn eine Personengruppe noch in einer anderen Sprache spricht und man nicht weiß worum es geht, kann das erst recht Angst machen. Dabei sprechen diese vielleicht nur über harmlose Dinge wie Fußball. Oftmals ist es Fremdheit, die Angst hervorruft – und das in der Regel völlig unbegründet.“

Polizeihauptkommissar Doernemann

Lohberg und seine Bewohner, so schlussfolgern wir, sind offensichtlich noch vielen Dinslakenern fremd. Vielleicht, weil Lohberger manchmal anders aussehen, weil einige türkisch sprechen, oder einer anderen Religion angehören. Vielleicht auch, weil sie sich anders kleiden oder andere Freunde haben. Dabei sind es genauso Menschen wie alle anderen auch. Für uns bei Mittendrin kann das nur Ansporn sein, weiterhin über Lohberg zu berichten und zu zeigen, wie lebens- und liebenswert es in diesem Stadtteil zugeht.

Unterstützer gesucht

Habt ihr Lust, uns bei unserer Serie zu unterstützen? Wir suchen noch Gesprächspartner, die uns aus ihren Erfahrungen mit dem Stadtteil berichten, und wir suchen nach Menschen, die die Neugier haben, mit anderen zu sprechen und deren Sicht auf Lohberg kennenzulernen.

Wir wollen noch neun weitere Vorurteil überprüfen. Mit Ernsthaftigkeit und der nötigen Offenheit für unangenehme Wahrheiten da, wo es nötig ist. Mit Humor dort, wo es möglich ist. Es geht ums Schreiben, Fotografieren, Filmen und natürlich Recherchieren. Meldet euch, wenn ihr Interesse habt!

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