Regisseur Adnan G Köse hat mit seinem Film „Die Siedlung. Am Ende der Kohle“ ein feines Porträt über den Stadtteil Lohberg gezeichnet. Er zeigt Zusammenhalt und Widersprüche auf, indem er die Bewohner des Stadtteils miteinander sprechen lässt.
Zwei Jahre lang hat Köse daran gearbeitet, 125 Minuten dauert nun seine Dokumentation, gedreht mit minimalen Mitteln und viel Herzblut. Es ist die wohl größte Stärke dieses Films, dass er sich Zeit nimmt für die Menschen und ihre Geschichten. Durch die Erzählungen freundet sich der Zuschauer mit ihnen an, lernt sie zumindest kennen – und dadurch auch den Stadtteil.
Es braucht eine Weile, sich an den Rhythmus dieses Films zu gewöhnen. Schließlich ist es heutzutage üblich, Filme mit Tempo auszustatten, hohem Puls, schneller Taktung und angepasst an ein die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Menschen im 21. Jahrhundert. Köse verweigert sich dem- Bei „Die Siedlung“ ist es eher so, als würde man sich im Wohnzimmer zusammensetzen, um zu hören wie es dem anderen geht. Der Film nimmt sich Zeit, um hinzuhören. Schön ist das. Denn nur, wer anderen zuhört, kann sie auch verstehen.
Diese Chance eröffnet „Die Siedlung“, indem er zwei, manchmal auch drei oder vier Menschen zusammenbringt und ihre Gespräche verfolgt. Immer geht es um Lohberg und das, was die Menschen mit dem Stadtteil verbinden. Das ist eine Menge.
Tradition und Integration als Megathemen
Zwei große Themen klingen fast überall an: Zum einen die Erinnerung an die Kohle und den Stolz der Bergleute. Zum anderen die Integration und das Zusammenleben mit den vielen, die aus dem Ausland nach Lohberg gekommen sind.
Köse nähert sich dem in einzelnen Kapiteln. Etwa über die prägenden Ereignisse der 20er Jahre, eine Zeit von Aufruhr und Gewalt. Die Katholische Kirche. Die türkischen Nachbarn. Die Integrationskraft des Sports. Den Zusammenhalt der Bergleute. Und die Zuversicht der Pioniere, die nach dem Aus des Bergbaus versuchen, die Zukunft zu organisieren. Jedes Thema für sich böte genügend Stoff für einen eigenen Film.
Beeindruckend sind die entsetzlichen Geschichten aus den 20er Jahren. Hans Feldhoff spricht darüber fast 100 Jahre später im Bergpark mit zwei Polizisten. In den Auseinandersetzungen im Chaos der Weimarer Republik kam es auch in Lohberg zu Mord und Totschlag. Wer mit den Kommunisten sympathisierte, wurde aus der Wohnung gezerrt und erschossen. Eine aufgebrachte, hungrige Menge erschlug zwei Polizisten. Später geriet Lohberg in ganz Deutschland in die Schlagzeilen, als ein Bergwerksdirektor ermordet wurde. „Ich bin froh, dass ich nicht damals Polizist war“, sagt Feldhoffs Gesprächspartner. Heute sei es ruhig geworden in Lohberg.
Was sagen die Zuschauer? Stimmen zum Film
Der schlechte Ruf hat den Stadtteil seitdem nicht losgelassen. „Unsere Eltern ermahnten uns immer zu sagen, dass wir aus Dinslaken kommen, nicht aus Lohberg“, erinnert sich Inge Litschke in einem berührenden Gespräch über die 40er Jahre. Den Druck, den Stadtteil zu verleugnen oder zu meiden, das kennen viele Bewohner auch heute noch zur Genüge.
Der Film zieht dabei eine hoch interessante Parallele zwischen den 20er und der Jetzt-Zeit. Denn schon damals zogen sich Konflikte quer durch den Stadtteil, ja manchmal sogar die Familien. Damals im Streit zwischen Kommunisten und der Kirche. Heute beim Überthema Integration. Mehrfach erörtern Gesprächspartner – auch mit Skepsis – die Frage: Wie lief das mit den Türken und Deutschen? Wie läuft es jetzt? Auf dem Sportplatz? In der Schule? Unter Tage? Und was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Spannend sind daher auch die Kapitel, in denen Köse Lohberger türkischer Abstammung zeigt und ihren Einsatz für ein gutes Leben in Lohberg. Die Bilder zeigen das, was Rechtspopulisten in diesen Tagen so erfolgreich als Vorlage missbrauchen, um Angst zu machen. Betende Männer in der Moschee. Fremdsprachige Predigten. Fremdsprachige Sitzungen im Vorstand des Moscheevereins. Die langen arabischen Melodien des Imams. Wie ein Besuch in einer „Parallelgesellschaft“, diesem Schreckgespenst aus dem Gruselkabinett von AfD und anderen.
Beten in dunklen Kellern
„Die Siedlung“ macht es jedoch möglich, sich das Gespenst aus der Nähe anzuschauen und ihm den Schrecken zu nehmen. So geht es in der Moschee eben um Sozialarbeit. Die unverzichtbare Rolle der ehrenamtlich engagierten Frauen in der Gemeinde. Den Dialog mit christlichen Gemeinden. Es ist so einfach, sich einem Fremden anzunähern und zu verstehen, was ihn als Menschen umtreibt.
Hängen bleibt auch die Geschichte von Onkel Temiraz, der mit vielen Landsleuten in den 60ern/70ern als Gastarbeiter nach Lohberg gekommen war. Als er einmal im katholischen Krankenhaus lag, fand er keinen Raum zum Beten und kniete sich in seiner Not auf das Bett.
Ein Arzt wies ihn zurecht, dies sei ein Krankenhaus und keine Moschee. Daraufhin schilderte Temiraz ihm seine Not und wie belastend es für ihn und seine Freunde war, dass sie in Deutschland nur in dunklen Kellern und engen Räumen beten konnten. Es war der Impuls, etwas zu verbessern. Heute befindet sich im Krankenhaus ein Gebetsraum für Muslime, in Lohberg gibt es zwei Moscheen.
„Die Siedlung“ ist reich an nachdenklichen, ehrlichen Momenten. Beispiele: Ein türkisch-stämmiger Vater wünscht sich eine Quote mit deutschsprachigen Kindern im Kindergarten, damit seine Kinder von Anfang an Deutsch lernen. Der heutige stellvertretende Bürgermeister Eyüp Yildiz erinnert sich, wie er als „Schwarzkopf“ vor der Disco abgewiesen wurde. Ein heute erfolgreicher türkischer Unternehmer weiß noch genau, wie orientierungslos er nach seiner Ankunft im fremden Deutschland war und sich auf die Suche machte nach Hilfe und Halt.
Für die Zukunft braucht es Zeit
Keineswegs verschließt der Film die Augen vor den großen Problemen des Stadtteils. Armut, Bildungschancen, Frust und ideologische Verirrungen. Zumindest indirekt wird alles angesprochen. Mehrfach wird deutlich, wie schwierig es ist und sein wird, den Zusammenhalt nach dem Wegfall der Kohle zu organisieren. Früher, so erzählen Trainer aus den Sportvereinen, habe der Sport die Menschen zusammengebracht, egal ob Türke, deutscher oder sonstwas. Das sei heute nicht mehr so.
Zum Ende richtet der Film den Blick nach vorne. Natürlich spielt der Umbau des Zechengeländes eine tragende Rolle. Und dass es alles andere als ein Klacks ist, aus einem „Ort der Niederlage“ einen Ort zu machen, der Aufbruchsstimmung verbreitet, wie RAG-Projektmanager Bernd Lohse einräumt. „Solche Prozesse brauchen Zeit, viel Zeit“, erzählt er. Doch sieht er in Lohberg einen Ort voller Kraft, an dem dieser Wandel gelingen kann.
Wer sich auf „Die Siedlung“ einlässt, erfährt eine Menge. Er lernt, die Menschen in Lohberg besser zu verstehen. Und findet Antworten auf die Frage, wie Integration denn gelingen kann. „Wie lief das denn mit der Integration unter Tage?“, so stellt sie ein ehemaliger Bergmann mit unverhohlener Skepsis seinem ehemaligen Kollegen. Dessen Antwort dürfte auch nach dem Ablauf der Kohle-Ära gelten: „Es war nicht immer einfach. Aber wenn man vernünftig miteinander redet, findet man immer Antworten.“
Die Siedlung wird am 30.12.2018 ein weiteres Mal in der Lichtburg zu sehen sein. Danach soll der Film auch in anderen Kinos gezeigt werden. Zudem ist eine Veröffentlichung auf DVD angedacht. Tickets gibt es online direkt bei der Lichtburg.
Weitere Texte zum Film
Emschermensch (ein tolles Blog): Das Gold von Lohberg (26.11.2018)
NRZ Dinslaken: Ein Film über Lohberg feierte Premiere in der Lichtburg (26.11.2018)
NRZ Dinslaken: Der Film „Die Siedlung“ erzählt die Geschichte Lohbergs