Seite wählen

Voller Saal im Ledigenheim Lohberg. Bundestagspräsident Norbert Lammert ist gekommen. Im September wird gewählt. Wäre ein SPD-Wahlkampfmanager dagewesen, er hätte vermutlich einen Tobsuchtsanfall bekommen.

Die Stimmung im Ledigenheim ist schon ein wenig aufgekratzt. Schließlich kommt ein Mann, der das zweithöchste Amt im Staate repräsentiert. Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht.

Widerborstig und manchmal auch knallhart in der Sache, so kündigt ihn CDU-Bundestagskandidatin Marie Luise Dött zur Einführung an. Sie muss das wohl wissen. In der Fraktion sitzt Lammert seit 20 Jahren neben ihr. Dennoch befördert sie ihn versehentlich noch ins Schloss Bellevue: „Lieber Herr Bundespräsident. Du machst das großartig!“, ruft sie ihm zu und gibt die Bühne frei.

Es wird ernst

Lammert spricht frei. Und demonstriert gleich, warum er als Redner so begehrt ist. Mit einigen launigen Anmerkungen holt er gleich den ganzen Saal ab. Ein besonderer Wahlkampf sei dies für ihn, weil ich ja selber nicht mehr kandidiere. Seine Frau sei davon sowieso nicht begeistert gewesen. Sie habe gedacht, mit dem Ende der Zeit als Bundestagspräsident ende auch die aktive Beteiligung im Wahlkampf. Da habe er sie enttäuschen müssen. Demokratie sei eben auch Verpflichtung.

Seine eigentliche Rede beginnt nachdenklich. Er umreißt das schwierige Umfeld, in dem sich Politik inzwischen bewegt. US-Präsident Trump. Der Ausstieg Großbritanniens aus der EU, Brexit. Lammerts Schlussfolgerung ist nicht von der Hand zu weisen: In einer Demokratie haben Wähler eine große Verantwortung zu tragen. Der Blick nach England und die USA zeigt, was geschieht, wenn man sie missachtet.

Aber Norbert Lammert ist auch gekommen, um Wahlkampf zu machen. „Bessere Verhältnisse als die, in denen wir heutzutage leben, hat es in diesem Land nie gegeben“, sagt er. Es ist seine Variante des CDU-Wohlfühl-Slogans „Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben.“

„Macht keinen Scheiß in Deutschland!“

Lammert spricht über die ganz großen Themen. Es geht um Globalisierung, Zukunft, die Perspektiven für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Und dafür sei Deutschland international ein hoch anerkannter Garant. „Macht bitte keinen Scheiß in Deutschland!“ Das sei ihm kürzlich auf einer internationalen Konferenz mit Politikern aus den baltischen Staaten, Finnland und Norwegen zugerufen worden. Lacher im Saal.

Die Leute im Ledigenheim sind Lammert ohnehin freundlich gesonnen. Wie das so üblich ist bei Wahlkampfveranstaltungen sind nur die gekommen, die sowieso schon wissen, dass sie die CDU wählen wollen. Entsprechend groß ist die Zustimmung zu Lammerts klarster Wahlkampfansage an diesem Abend: „Die würden mit Kusshand die Kanzlerin nehmen, die wir bereits haben“, fasst er zusammen, was ihm bei der Konferenz mit den Ostsee-Staaten zugetragen worden sei. Merkel, so die Botschaft Lammerts, ist Garant für Stabilität und Verlässlichkeit und der Anker in einer verrückt gewordenen Welt.

Die SPD lässt er links liegen

Innenpolitische Themen klingen nur indirekt an. Die Flüchtlingsfrage und wie deren Integration gelingen soll, spricht Lammert mit direktem Heimatbezug an. Es gäbe das Ruhrgebiet gar nicht, wenn es nicht Massenmigration gegeben hätte. Vier Millionen seien damals gekommen, in 60, 70 Jahren. Und die meisten nicht als Flüchtlinge, sondern weil sie sich bessere Lebensverhältnisse erhofften.

Rente, soziale Gerechtigkeit oder die Abschaffung der Pkw-Maut, über die die SPD so gerne einen Streit anzetteln würde, all das lässt Lammert links liegen. Den politischen Gegner ignoriert er, ganz im Fahrwasser der Wahlkampfstrategie der Union. Seit Wochen schon arbeitet sich die Wahlkampfzentrale der Sozialdemokraten daran ab. So mancher SPD-Stratege hätten vermutlich auch im Ledigenheim vor lauter Ärger in die Tischkante gebissen.

Im Übrigen ignoriert er auch den türkischen Präsidenten Erdogan, mit die SPD sich derzeit so intensiv reibt. Dabei hatte der doch die in Deutschland wahlberechtigten Landsleute aufgefordert, ihre Stimme weder der SPD, den Grünen oder auch der CDU zu geben. Während SPD-Minister an dem Thema abarbeiten, spielt es bei Lammert wie auch im Wahlkampf der CDU keine Rolle.

Giften ist seine Sache nicht

Da schlägt sich der noch amtierende Bundestagspräsident lieber für seine Kandidatin in die Bresche. Norbert Lammert kann eben nicht nur überparteilich ein Parlament leiten, sondern eben auch in den Wahlkampfmodus umschalten. “Wäre ich hier im Wahlkreis wahlberechtigt, würde ich keinen Augenblick zögern, Marie Luise Dött zu wählen“, sagt Lammert und erntet damit nach seiner überwiegend ernsten Rede wieder ein paar Lacher. Das Giften gegen politische Gegner, das Aufpeitschen der Menge ist seine Sache nicht.

Nach knapp 40 Minuten kommt der Bundestagspräsident zum Ende. Es gibt ja noch Currywurst und Bier. Das Publikum verabschiedet ihn mit Standing Ovations, vermutlich auch als Zeichen der Anerkennung für seine Zeit im zweithöchsten Amt des Staates. Lammert scheidet zum Ende der Legislaturperiode auf eigenen Wunsch aus dem Bundestag aus.