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Zum Start der interkulturellen Woche in Dinslaken hat der Duisburger Autor Burak Yilmaz im Ledigenheim einen schwer beeindruckenden Vortrag gehalten. Er berichtete von Begegnungen muslimischer Teenager im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz.

Dieser Abend hallt nach. Am Dienstag las Burak Yilmaz im Ledigenheim Lohberg aus seinem Buch „Ehrensache. Kämpfen gegen Judenhass“.  Anschaulich und einfühlsam schildert er darin Grenz- und Ausgrenzungserfahrungen muslimischer Jugendlicher.

Er hat viele von ihnen dabei begleitet und sich mit ihnen als Pädagoge und Lehrer auseinandergesetzt. Und dabei festgestellt: Die jungen Männer sind auf der Suche nach Identität. Viel stammen aus einer Familien mit Wurzeln im Libanon, Palästina oder Nordafrika. Einige sind seit vielen Jahren staatenlos. Identität, Zugehörigkeit, Solidarität – unter solchen Umständen schwierig.

Unter Generalverdacht

Yilmaz erzählt von seiner Zeit im Jugendzentrum in Obermarxloh. Dort arbeitet er mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die von klein auf  erlebt haben, dass sie nicht dazugehören. Wegen ihres Glaubens in einen Topf geworfen zu werden mit islamistischen Terroristen. Es ist die Zeit nach 9/11, in der Muslime unter Generalverdacht stehen.

Gleichzeitig äußern auch einige von ihnen sich menschenfeindlich, frauenverachtend und geben immer wieder den Juden die Schuld. Auch in Obermarxloh. Gewalt gehört zu ihrem Alltag. „Schläge haben mich stark gemacht“, sagt einer. Und bei anderen gehören der Hass auf Israel wie der Nahost-Konflikt zur Geschichte der Familie. Hass und Gewalt prägen ihr Leben. Nur beim Schachspielen, das Yilmaz ihnen nahegebracht hat, kommen sie ein wenig zur Ruhe.

Von der Fahrt nach Auschwitz ausgeschlossen

Yilmaz versucht dagegen anzugehen. Aber mit seinen Argumenten hat er es schwer. Bis zu dem Tag, an dem er mitbekommt, dass muslimischen Schüler von einer Reise in das ehemalige KZ in Ausschwitz ausgeschlossen wurden. Zu groß ist die Sorge der Schulleitung, dass es Ärger geben, dass die Muslime sich  judenfeindlich äußern könnten.  Das weckt Empörung. Und den Widerstandsgeist. Yilmaz beschließt spontan, mit den Jugendlichen auf eigene Faust nach Auschwitz zu reisen.

Dort machen die Jugendlichen Erfahrungen fürs Leben, die sie nie vergessen werden. Denn als sie dort das Lager besichtigen, werden sie zum ersten Mal in ihrem Leben als Deutsche wahrgenommen. So hatten sie sich das nicht vorgestellt. „Was sind wir denn jetzt eigentlich?“, fragt einer abends nach dem Besuch in die Runde. „Nach heute will ich auf keinen Fall Deutscher sein“, antwortet jemand. „Aber wir sind Deutsche“, heißt es postwendend.

Für Yilmaz ist das eine Schlüsselerfahrung. Identitätschaos, Denkschablonen und Realität treffen aufeinander. Greifbar wird diese Konfrontation an einer Begegnung in Auschwitz, von der Yilmaz berichtet. Die Jugendlichen treffen auf Besucherinnen aus Israel. Direkt vor den KZ-Baracken. Yilmaz hat Angst. „Ich dachte nur, hoffentlich geht das gut. Ein Funke könnte reichen, damit die Situation eskaliert“, erinnert er sich. „Das hätte einen Skandal gegeben, der um die Welt geht.“

Gesprengte Denkschablonen

Doch es kommt anders. Die Frauen legen vor der Baracke einen Kranz ab. Direkt hier wurden ihre Vorfahren ermordet. Ein Ort des Leids, ein Ort der Trauer. Das spüren auch die Jugendlichen. Und einer von ihnen geht kurzentschlossen auf die Frauen zu und spricht Ihnen sein Beileid aus. Aufrichtig. Seine Gefühle brechen das Eis. Die Gruppen kommen miteinander ins Gespräch.

Für Yilmaz und die Jugendlichen eine einprägsame, sehr besondere Erfahrung. Yilmaz erkennt, was möglich ist. Vorurteile und Feindbilder sind nicht für immer zementiert. Sondern man kann sie ins Wanken bringen, wenn Gemeinsamkeiten deutlich werden. Zum Beispiel die Erfahrung, diskriminiert und ausgestoßen worden zu sein.

Eine seiner wichtigsten Erkenntnisse als Pädagoge gibt er zum Abschluss gerne weiter: Lasst die Jugendlichen von eigenen Diskriminierungserfahrungen erzählen. Lasst sie reden über Palästina und Israel. In der Schule, im Verein oder dem Jugendheim. In der Auseinandersetzung lernen sie, dass auch ihre Meinung etwas zählt. Und finden so den Halt, den sie so dringend brauchen. Und den es braucht, um eigene Vorurteile infrage stellen zu können und Verantwortung zu übernehmen als Teil unserer Gesellschaft. 

Wenn ich jemand von euch Interesse hat sich näher mit der Arbeit von Burak Yilmaz zu befassen, einfach melden! Wir haben hier noch sein Buch mit Widmung an Lohberg Mittendrin und drücken es euch gerne in die Hand! 

Ebenso lohnt sich ein Blick in das Programm für die interkulturelle Woche in Dinslaken. Eine bessere Gelegenheit. um sich auf auf neue Begegnungen einzulassen, wird es so schnell nicht geben.