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Als Elif Furuncu vom Erdbeben in der Türkei und Syrien hörte, konnte sie nichts aufhalten: Drei Wochen später war sie vor Ort. Als Krankenschwester arbeitete sie auf einem Schiff an der Küste der Provinz Hatay und kümmerte sich um Verletzte und Erkrankte. Für sie eine ebenso schwere wie bereichernde Zeit.

Elif Furuncu (rechts) im Einsatz auf der Station.

Am 6. Februar erschütterte in der Türkei und Syrien eine schweres Beben die Erde. Am 25. Februar landet Elif in Istanbul und macht sich auf den Weg in die betroffene Region. Nach einer langen Busreise ist sie am Ziel. Zusammen mit anderen freiwilligen Helferinnen wird sie auf der „Orhan Gazi Gemisi“ empfangen. Die Großraumfähre ist in wenigen Tagen zu einem Lazarett umgebaut worden. Die Krankenhäuser der 250.000-Einwohner-Stadt İskenderun kamen für die Notversorgung nicht mehr infrage. Einsturzgefahr. Große Teile der Region und ihrer Infrastruktur sind zerstört.

Nur ein Minimum an Schlaf

Elif gönnt sich keine Pause. Sie stürzt sich am Tag ihrer Ankunft direkt in die Arbeit. Darum will sie hier sein. Es folgen acht Tage wie im Rausch. Nie mehr als vier Stunden Schlaf, 18-Stunden-Schichten. Eines ihrer Fotos zeigt eine Kollegin, die auf einem Stuhl sitzend eingeschlafen ist. Ein Pfleger versorgt sich mit neuer Energie durch eine Infusion, die er sich selbst angelegt hat. Er wird gebraucht. Er will helfen, so wie alle anderen auch.

Die Fähre wurde in Windeseile zu einem Krankenhaus umgebaut.

Elif ist gelernte Krankenschwester. Ihr Wissen ist Gold wert in Hatay, auch wenn die Abläufe in der Türkei nicht dieselben sind, wie im Klinikum in Gelsenkirchen, wo Elif normalerweise arbeitet. Ihre Arbeit in der Notaufnahme ist für sie eine Energiequelle. Das Helfen gibt ihr Kraft. Die braucht sie. Denn zuhause wartet die Familie auf Sie. Drei Kinder fordern ihre Aufmerksamkeit, vor allem Kayral. Der 13-Jährige hat eine schwere Behinderung und ist rund um die Uhr auf Pflege angewiesen.

Hilfe aus ganz Deutschland

Man fragt sich, wie Elif das alles schafft. „Ich brauche nur wenig Schlaf und das alles macht mir Freude“, sagt sie. Eine Schlüsselrolle spielt ihr Mann Ahmet. Er gibt ihr Halt und unterstützt sie, wo er nur kann. Als die Meldungen aus dem Erdbebengebiet kamen, schaute sie ihn nur an, und er wusste sofort, was los ist. „Nicht dein Ernst“, fragte er. Ihre Antwort: „Doch, ich muss das tun.“

Mit Elif waren zwei Pfleger aus Stuttgart angereist und zwei Krankenschwestern aus München.

Ahmet nahm extra ein paar Tage Urlaub, damit Elif in Hatay helfen konnte. Über soziale Netzwerke fand sie schnell Gleichgesinnte. Krankenschwestern und Pfleger aus ganz Deutschland wollten in die Türkei, um zu unterstützen. Dafür, dass Ahmet ihr den Rücken frei hielt, ist Elif unendlich dankbar.

So viel Not, so viel Menschlichkeit

Dankbar ist sie aber auch für die Erfahrungen, die sie in Hatay gemacht hat. „Der Zusammenhalt war unbeschreiblich“, erzählt sie. „Wir haben uns alle so gut verstanden, wir haben uns gegenseitig mit allem unterstützt, was wir zu geben hatten. Alle hatten das selbe Ziel.“ Noch nie im Leben habe sie so viel Dankbarkeit gespürt. „Manche Patienten konnten wir nur mit Mühe davon abhalten, uns die Füße zu küssen“, sagt Elif.

Jeden Tag aufs Neue kamen Hunderte. Drei Wochen zuvor hatten sie fluchtartig ihre Häuser verlassen und alles zurückgelassen. Etliche verloren geliebte Freunde und Verwandte. In den ersten Tagen standen sie vor dem Nichts. Kein Zuhause, kein Essen, kein Trinken. Nur das nackte Leben.

Auf den Straßen von Hatay.

Einige Woche später leben die meisten notdürftig untergebracht in Zelten, versorgt mit mit dem Nötigsten. Es ist Winter, die Temperaturen liegen im Minusbereich, Lebensmittel sind knapp. Hygiene ist eine Herausforderung. Die Hilfsorganisationen sind besorgt, es könnte zu Seuchen kommen.

Ein eingeschworenes Team

„Die meisten kommen mit Lungenentzündungen, bedingt durch die Kälte“, erzählt Elif. „Viel zu tun hatten wir auch mit völliger entkräfteten Menschen. Einige sind direkt zusammengebrochen, als sie bei uns waren.“ Auch entzündete Wunden oder auch nicht behandelte Brüchen gehören zum Alltag. „Manche Menschen konnten wir aufnehmen, es gab sogar eine kleine Intensivstation“, sagt Elif. Die Menschen warteten in langen Schlangen auf eine Behandlung. An jedem Tag müssen die Helfer improvisieren.

Aus dem medizinischen Team wurde schnell eine feste Gemeinschaft.

Ins Schwärmen gerät Elif, als sie erzählt, wie alle mit anpackten. „Keiner war sich für etwas zu schade.“ Auf einem Video zeigt sie, wie die Chefärztin an der Decke Vorhänge anbrachte. Die Tücher sollten dafür sorgen, dass die Patienten zumindest ein bisschen Privatsphäre haben konnten.

Unendliche Dankbarkeit

Tief beeindruckt hat sie die Dankbarkeit der Menschen. Als Patienten erfuhren, dass Elif und andere sofort aus dem Ausland in die Türkei geeilt waren, um zu helfen, fließen Tränen. Auch das gibt Elif Kraft. Sie hilft, wo sie kann. Meistens in der Notaufnahme. Manchmal aber auch in der Pflege. Einem alten Mann gab sie ein Stück Würde zurück, indem sie ihn rasiert. Anderen spendet sie Trost, indem sie sie in den Arm nimmt. Einfach so.

Auch in der Pflege war auf Elif Verlass.

Mehrfach stößt sie auch an ihre Grenzen. Vor allem die Angst in den Augen der Kinder geht ihr nicht aus dem Kopf. Auch Wochen nach dem Erdbeben ist sie noch zu sehen. Das Entsetzen, dass von einer Sekunde auf die andere alles einstürzen kann. Diese Kinder haben das Vertrauen in die Welt verloren. Ein tiefes Trauma. Und eines, das diese Kinder vermutlich ein Leben lang begleiten wird.

Zusammenbruch am Tag der Heimreise

Am Tag ihrer Rückkehr nach Deutschland bricht Elif zusammen. Eine Woche am Anschlag, eine Woche unter maximaler Belastung, körperlich wie psychisch.  Als der Druck von ihr abfällt, zeigt sich, wie erschöpft sie ist. Als sie davon erzählt, schießen ihr Tränen in die Augen.

Die Rückkehr in den Alltag im Klinikum fällt ihr nicht leicht. In der Notaufnahme in Gelsenkirchen geht es vielen Menschen vergleichsweise gut.

Die Gemeinschaft in Hatay wird Elif nicht vergessen.

Nun, mit ein wenig Abstand, weiß Elif: Die Tage in Hatay wird sie nie vergessen. Auf der Station hat sie Freundschaften fürs Leben geschlossen. Mit den Kolleginnen vom Ärzte-Schiff steht sie regelmäßig in Kontakt. Zuversichtlich stimmt sie, dass die Versorgung in der Region besser geworden bist. Es gibt Wärme, Wohncontainer, eine Grundversorgung und auch die Hoffnung kehrt zurück. Dieses Wissen lässt sie inzwischen besser schlafen. Eines steht für sie felsenfest: Sollte sich jemals wieder eine solche Katastrophe ereignen, wird sie wieder tun, was in ihren Kräften steht. Und helfen.

Weitere Eindrücke von ihrer Reise zeigt Elif übrigens auf ihrer Instagram-Seite, hier ein kleines Reel vom 7. März:

Vor der Anreise hat Elif Hilfsgüter gesammelt und in vier große Reisetaschen verpackt. Mit dabei sind unter anderem Medikamente, Binden, Desinfektionsmittel und Krücken.