Seit 40 Jahren gibt es in Dinslaken nun schon die Bücherstube Lohberg. Eine Feier ist am Stichtag, Dienstag dem 2. Juni, derzeit wegen Corona leider nicht möglich. Doch vergessen werden sollte dieses Jubiläum auf keinen Fall. Ein Rückblick auf ereignisreiche Jahre.
Einstimmig beschloss am 30. März 1979 der Rat der Stadt Dinslaken die Einrichtung einer Zweigstelle der Stadtbibliothek in Lohberg. Und so wurde am 2. Juni 1980 ein kleines Reiheneckhaus auf der Lohbergstraße 53 zur Bücherstube Lohberg. 126 Quadratmeter auf zwei Etagen standen Kindern und Erwachsenen nach umfangreichen Umbaumaßnahmen zur Verfügung.
Soziales Wohnzimmer
Bei ihrer Eröffnung konnte niemand voraussehen, ob das Konzept eines Ortes der Begegnung und der Kulturen im Stadtteil aufgehen würde. Schon damals war von einem Platz des Lesens und Hörens, des Spielens und Lernens die Rede. Die Bücherstube sollte als soziales Wohnzimmer im Stadtteil wirken.
Da alle Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils als potentielle Nutzer im Blick waren, gab es von Anfang an auch einen türkischen Medienbestand. Kinderbücher, Romane, Sachbücher und Zeitschriften bildeten den Anfang, Kassetten und Videos folgten. Die erste türkische Bibliotheksassistentin wurde ausgebildet, die heute noch immer zum Team der Bücherstube gehört. Sprachbarrieren konnten und können so überwunden werden.
Arbeitsanweisung: „Machen Sie mal“
Dinslaken war zu diesem Zeitpunkt die einzige Mittelstadt in Deutschland, die einen differenzierten türkischen Bestand in einer nennenswerten Größenordnung angeboten hat. Es waren die Großstädte wie Duisburg, Nürnberg, Frankfurt und Berlin, die dieses Angebot machen konnten und auch fremdsprachiges Personal hatten. „In unserer Größenordnung gab es deutschlandweit für den Aufbau des Bestandes, für Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit keine Vorbilder geschweige denn Orientierung. ‚Machen Sie mal‘“, so lautete die Arbeitsanweisung für Edith Mendel, damals Berufsanfängerin und heute Leiterin der Dinslakener Stadtbibliothek.
Dinslaken setzte gleich zu Beginn auf eine Versorgung aller Lohbergerinnen und Lohberger. Schnell wurde allerdings klar, dass die Bücherstube als Universalbibliothek kleinster Größenordnung in Lohberg nicht funktioniert. Mit finanzieller Unterstützung des Landes wurde der Bestand auf ein bedarfsgerechtes Stadtteilangebot umgestellt, das auf bestimmte Sachbereiche ganz verzichtete, im Gegenzug andere weiter ausbaute.
Ein paar Jahre später wurde noch eine Sprachförderabteilung integriert, die die Sprachförderkräfte des Stadtteils in ihrer Arbeit unterstützen sollte und auch für die Eltern zur Verfügung stand.
Der Name ist Programm
Der Name „Bücherstube“ war bewusst gewählt worden. Er sollte zum Programm werden: Die gute Stube, in der man sich gerne trifft und aufhält. Auch nach dem Umzug ins Ledigenheim, der 2007 notwendig geworden war, wurde der Name beibehalten. Und auch die neuen Räume strahlten gleich zu Beginn die Atmosphäre aus, die kennzeichnend für die Bücherstube ist. Aber hier gab es endlich genug Platz, um für alle Altersgruppen einen Bereich zu bieten.
Trotzdem mussten hier natürlich auch besondere Erfahrungen gesammelt werden: Ziemlich zu Beginn gelang es, Fakir Baykurt zu einer Lesung in die neue Bücherstube einzuladen. Baykurt gilt bis heute als literarische Lichtgestalt unter den türkischen Autoren, jeder kannte ihn. Die Stadt Duisburg, in der er lebte, hat sogar einen Literaturpreis nach ihm benannt, der seit 2014 alle zwei Jahre vergeben wird. Doch zu Beginn der Lesung kamen lediglich 3 Kinder. Auf die Frage war zu erfahren: Niemand hatte glauben wollen, dass ein so berühmter Mann tatsächlich nach Lohberg kommt.
Wichtige Lehren aus dem Nachmittag mit Fakir Baykurt
Die Lesung hatte jedoch kaum begonnen, da klingelte es an der Tür. Ein kleiner Zweifler kam hereingeplatzt und staunte: „Der ist ja doch da.“ Und er rannte wieder hinaus. Innerhalb einer Viertelstunde war die Bücherstube nicht nur voll besetzt, sie platzte aus allen Nähten. Der Junge war von Tür zu Tür gelaufen und hat alle informiert. Es wurde ein toller Nachmittag und Fakir Baykurt wollte man nicht gehen lassen.
Daraus hat man gelernt: Persönliche Ansprache gehört heute zu den vertrauensbildenden Maßnahmen und ist wichtiger als Plakate und Flyer.
Auch die Bilanz der Bücherstube kann sich sehen lassen. Die Ausleihzahlen haben sich nach dem Umzug ins Ledigenheim 2007 fast verdoppelt, die Vor-Ort-Nutzung ebenso. Über 10.000 Besucherinnen und Besucher zählt die Bücherstube pro Jahr und über 150 Veranstaltungen werden jährlich organisiert. Die setzen auf individuelle Bedürfnisse und Anregungen der Jüngsten und deren Eltern sowie Erzieherinnen und Erzieher.
Enge Kontakte zu Kitas und Schule
Ehrenamtliches Engagement gab es immer schon in der Bücherstube. Unterstützt vom Forum Lohberg kamen Sprachförderkräfte dazu, die zum Teil heute noch in der Bücherstube mitarbeiten. Sprach- und Leseförderung ist zu einem besonders wichtigen Arbeitsfeld geworden.
So ist in den vergangenen Jahren ein stabiles und vor allem aktives Netzwerk aufgebaut worden. Die Kontakte zu den Kindertageseinrichtungen und der GGS Lohberg wurden aufgebaut. Klassen- und Kitaführungen zeigen den Kindern die Möglichkeiten des Angebots für Schule und Freizeit.
Preisgekrönte Arbeit
Viele Familien wissen, dass gute Deutschkenntnisse für eine schulische und berufliche Zukunft unerlässlich sind. Wobei sichere Kenntnisse der Muttersprache nicht vernachlässigt werden sollen. Sie sind die Basis. Deshalb hat die Bücherstube auch immer noch einen großen türkischsprachigen Bestand mit mittlerweile sehr vielen attraktiv gestalteten Kinderbüchern, aktuellen Romanen, Sachbüchern und Zeitschriften.
Das engagierte Team der Bücherstube schafft es seit fast 40 Jahren immer neue Ideen und Projekte zu entwickeln und zu verwirklichen. Und die werden auch bundesweit wahrgenommen. Das Konzept des betreuten Spielens wurde schon zweimal mit einem Preis ausgezeichnet. Die Bücherstube Lohberg wird als Best-Practice-Modell für Bürger und Bürgerinnen mit Migrationshintergrund angesehen.
Es muss vor allem Spaß machen
Kinder lernen nicht nur in den dafür vorgesehenen Institutionen, sondern natürlich auch außerhalb. Außerschulische kulturelle Bildungseinrichtungen wie die Bücherstube unterstützen durch ihre Arbeit das lebenslange Lernen, sie fördern Kreativität und Lesefertigkeit und tragen so zur Persönlichkeitsentwicklung der Kinder bei. Dabei darf man nicht vergessen: Bildungsprozesse im kulturellen Bereich müssen Spaß machen und abwechslungsreich sein. Sie müssen sich vom Lernen in Kita und Schule absetzen, denn in die Bücherstube kommen die Kinder freiwillig. Dann kommen sie auch wieder.
Die Bücherstube ist deshalb keine Betreuungseinrichtung und kein Kinderhort. Sie ist und bleibt eine öffentliche Bibliothek in einem besonderen Stadtteil, die unter besonderen Rahmenbedingungen Sprach- und Leseförderung mit Konzepten betreibt, die nicht immer bibliothekarischen Grundsätzen entsprechen, die aber die Kinder jeden Tag erreichen. „Und das ist gut so“, betont Edith Mendel.
Enge Bindung an die Leser
Der Weg zum Konzept war lang. Viele Ideen und Aktionen mussten aufgegeben werden. Neues wurde ausprobiert, verändert und angepasst. Oft war Platzmangel in der alten Bücherstube ein Grund. Das hat sich seit dem Umzug verändert: Heute bietet die Bücherstube vieles für Kinder und damit einen Anreiz, täglich zu kommen.
Aber auch die Erwachsenen schätzen die Atmosphäre, das persönliche Gespräch und dass die neuen Bestseller und Zeitschriften auch hier zu finden sind. Auch das große Angebot an Spielfilmen und Hörbüchern wird gerne und oft von ihnen genutzt. Ihr Ausleihraum ist vom Lärm der Kinder- und Jugendangebote getrennt, so dass sie in Ruhe auswählen und schmökern können. Viele sind langjährige Leserinnen und Leser, deren Vorlieben und Interessen das Team kennt und bei Neuanschaffungen berücksichtigt. Das schafft eine Bindung an die Bücherstube und an die Menschen, die dort arbeiten.
„Aber es sind vor allem die Kinder und Jugendlichen des Stadtteils, die die Bücherstube zu dem gemacht haben, was sie heute ist“, betont Edith Mendel. „Ein Ort, um Freunde zu treffen, miteinander zu spielen, spannende Bücher, Filme oder Hörspiele zu entleihen oder sich Informationen für die Schule zu beschaffen. Unkonventioneller Umgang mit Medien und Menschen machen den Reiz der Bücherstube heute aus. Längst wird sie nicht mehr nur von Menschen aus Lohberg genutzt. Die Besucherinnen und Besucher kommen aus der Innenstadt, aus Hiesfeld und Hünxe, Bruckhausen und Voerde.“
Der Text wurde am 27. Mai von der Stadt Dinslaken als Pressemitteilung veröffentlicht.