Rückblick auf das Jahr 2016: So mancher wird die Bilder damals schon gesehen haben, als sie im Ledigenheim, in der Neutor Galerie oder bei der Extraschicht zu sehen waren: 100 Schwarz-Weiß-Porträts von Menschen, die eine Verbindung zu Lohberg besitzen, 100 Fotos von Menschen im Alter von 1 bis 100.
Mehrere Monate hatte die im Forum Lohberg geborene Idee für Wirbel im Stadtteil gesorgt. Es begann am 9. Januar 2016. Über die Zeitung, Handzettel und Aufrufe bei Facebook begann die Suche nach Lohbergern, die ihr Gesicht für eine solche Fotoserie zur Verfügung stellen würden. Nach rund vier Monaten, Ende April, waren alle 100 gefunden – angefangen bei der 1-jährigen Elif Naz bis zur inzwischen 103-Jährigen Wanda Pischel.
Auslöser war im Grunde genommen ein Ärgernis. Egal wen man fragte – alle Lohberger ärgerten sich maßlos über die einseitige und auf den Salafismus fixierte Berichterstattung in den Medien. Warum also nicht etwas dagegen unternehmen? Die Idee, mit Lohberg100 das wahre Gesicht des Stadtteils zu zeigen, stieß auf offene Ohren.
Im Rückblick war das Projekt für die Organisatoren im Forum Lohberg eine tolle Erfahrung. Sie sind fast ausnahmslos auf hilfsbereite Menschen gestoßen, die Türen und Tore öffneten, die sich als Fotograf einbrachten, vor der Fernsehkamera erklärten,warum sie sich für den Stadtteil einsetzen oder sich als Fotomodel zur Verfügung stellten und etwas aus ihrem Leben erzählten. Zentrale Erkenntnis aus diesen Monaten: Die Lohberger identifizieren sich mit ihrem Stadtteil und bekennen sich dazu.
Das zeigte sich auch bei der Eröffnungsfeier am 12. Mai im Ledigenheim, zu der alle Beteiligten eingeladen waren. Ein bisschen fühlte es sich so an, als sei da eine große Familie wieder zusammengekommen. Fast 90-Jährige Klassenkameraden aus der Marienschule liefen sich über den Weg, andere Besucher erkannten aus den Augen verlorene Freunde auf den Bildern wieder.
Für besondere Momente sorgte zudem das System, nach dem die Bilder aufgehängt waren, nämlich pärchenweise immer so, dass das Alter von zwei Porträtierten zusammengerechnet 100 ergab. So begegneten sich bei der Eröffnung beispielsweise Kübra Bayat (23) und Horst Kortas (77). Der Abend geriet so zu einem großen Kennenlernen und Wiedersehen, an das sicher alle gerne zurückdenken.
Nach der Eröffnung war Lohberg100 vier Wochen lang mit großem Erfolg in der Neutor Galerie in Dinslaken Mitte ausgestellt. Mitte Juni wanderte sie zur Extraschicht in die Zentralwerkstatt. Danach soll sie auch außerhalb Dinslakens zu sehen sein – als Einladung, sich einmal wirklich mit den Menschen auseinanderzusetzen, die hier wohnen.
1. Fotografen-Tricks
Man sieht es den Bildern nicht an, welche Arbeit bisweilen dahintersteckt.Das war auch auch der Anspruch aller beteiligten Fotografen. Manchmal haben sie auf Tricks zurückgreifen müssen. Etwa wie Martin Büttner. Beim Foto von Elif Naz (1) legte er sich platt auf die Wiese, um auf Augenhöhe zu sein und die Situation zu entspannen.
Der zweijährige Milo verweigerte sich sogar anfangs komplett, Büttner war bereits am Rande der Verzweiflung und kurz vorm Aufgeben. Der Opa und eine Schaukel retteten das Foto.
2. 100 = 102
Ja, es stimmt. Wir haben niemanden im Alter von 100 gefunden, der eine Verbindung zu Lohberg mitbringen konnte. Auch systematisches Abklappern der Seniorenheime von Dinslaken und Umgebung war nicht von Erfolg gekrönt.
Unser Joker macht uns jedoch nicht etwa verlegen, sondern wir sind stolz auf ihn: Frau Wanda Pischel aus dem Alfred-Delp-Haus weiß nur zu gut, wie es ist, 100 Jahre alt zu sein. Sie feierte im vergangenen Jahr ihren 102. Geburtstag. Und ist in Lohberg aufgewachsen.
Übrigens: Sollte sich noch jemand finden, der 100 Jahre alt ist und mit Lohberg etwas anfangen kann, werden wir die Bilderserie gerne ergänzen. Wanda Pischel erhält dann einen Ehrenplatz.
3. Netzwerke
Lohberg100 konnte nur gelingen, weil Hunderte mitgeholfen haben. Vor allem Facebook und Mundpropaganda haben das ermöglicht. Und das auch, wenn es eng wurde. Anfang April war uns kurz vor unserer Deadline eine junge Frau abgesprungen, die unsere Nummer 25 sein sollte. Wir veröffentlichten einen Hilferuf auf Facebook – und 58 Minuten später meldete sich Carina Schütze (25).
Über das Internet riefen wir nicht nur zur Teilnahme auf, sondern auch dazu, sich umzuhören und Kandidaten vorzuschlagen. Das hat funktioniert. Den Friseur Peter Wecke hat eine Kundin für uns begeistert, mehrere Ur-Lohberger haben wir nur für uns gewinnen können, weil deren Kinder die Aktion bei Facebook entdeckt hatten und spontan unterstützten.
Besonders beeindruckend empfanden wir die flächendeckende Hilfsbereitschaft. Vereine, Kindergärten, Unternehmen, Seniorenheime, Einzelpersonen – überall wurden wir mit offenen Armen empfangen. Hervorheben wollen wir dabei unbedingt Axel Wolff, der mit seinem Fotostudie das Projekt mit Rat und Tat, aber auch finanziell großzügig unterstützt hat.
4. Begegnungen
Lohberg100 hat sich auch als ein Stück wiederentdeckter Nachbarschaft erwiesen. Das lässt sich am besten anhand der Geschichte mit Hildegard Pollmann (93) erzählen. Auf sie aufmerksam wurden wir erst durch einen Tipp von unserer Nummer 58, der Schneiderin Nurten Günaydin. Sie kannte Frau Pollmann seit Jahren als treue Kundin, die irgendwo auf der Grabenstraße wohnt.
Daraufhin entschlossen wir uns zu einem Hausbesuch und fragten in der Nachbarschaft zwei junge Frauen. „Kennt Ihr Oma Pollmann?“ „Nicht persönlich,aber wir wissen, wo sie wohnt.“ Als Dank drückten wir den beiden Helfern ein Infoblatt in die Hände. Kurz nach dem (erfolgreichen) Besuch bei Frau Pollmann schellte das Telefon: Es waren die beiden jungen Frauen. „Lohberg100 – wir sind dabei!“ Sie sind jetzt auf dem Foto von Jenny Walburga (24) zu sehen. Oma Pollmann ist jetzt keine fremde Nachbarin mehr.
Zu einer anderen denkwürdigen Begegnung kam es im Februar auf der Stollenstraße. Für das Foto hatten wir Erich Dzudzek und seine Frau extra aus ihrer Wohnung in Hünxe abgeholt. Fotograf Stefan Weber sollte ihn unbedingt vor seinem Geburtshaus ablichten.
Bemerkenswert: Auf der Stollenstraße Nr. 5 begegneten sich wegen Lohberg100 Personen, die sich vorher noch nie persönlich gesehen hatten: Der gebürtige Lohberger Erich Dzudzek, der Fotograf Stefan Weber und der Mitarbeiter des Forum Lohberg, Philipp Stempel. Das i-Tüpfelchen folgte aber noch. Mitten im Shooting kam eine etwas ältere Dame vorbeigelaufen: Hildegard Pollmann.
5. Wünsche
Mit jedem Teilnehmer haben wir darüber gesprochen, was ihm im Leben wichtig ist und was er für die Zukunft plant. Die Palette der Lebenswünsche zeigt, wie sich das Leben ändert. Milo (2) wünschte sich Mickey Maus kennenzulernen, Merve (10) möchte einmal Sängerin werden. Später steht bei vielen die Familie im Mittelpunkt, noch etwas später ist es die Gesundheit. Mehrere wünschten sich Frieden und ein gutes Zusammenleben.
Nicht missen möchten wir die vielen und kleinen Geschichten, die uns die Menschen aus ihren Biographien erzählt haben. Nur bruchstückhaft kann Lohberg100 sie wiedergeben, dabei gäbe es noch so viel zu erzählen. Wie Grete Heiermann (96) nach dem Krieg von Berlin nach Bruckhausen kam. Warum Marie Schrör (21) stolz ist auf ihren Stadtteil oder warum Michael Köppe (42) mit seiner Frau Kleiderbügel recycelt.
Besonders bemerkenswert fanden wir die Erinnerung von Heinrich Sürig (92) an den Empfang für den damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke in Lohberg. Er rettet damals mit seinem Akkordeon das Rahmenprogramm, weil die ursprünglich bestellte Kapelle ausfiel.
Alle Bilder, alle Wünsche
Das Forum Lohberg zeigt die Foto-Ausstellung auf Youtube auch als animierten Film. Kai Dauvermann, der das Projekt auch als Fotograf begleitet hat, komponierte aus Bild und Text ein ganz neues Erlebnis. Schaut mal rein!