Özkan Yildiz, Vorsitzender des Moschee-Vereins in Lohberg, traute seinen Augen nicht: Im Foyer des Krankenhauses von Bursa, rund 2700 Kilometer von Lohberg entfernt, stand vor ihm ein Krankenwagen aus den 60ern mit dem Stadtwappen von Dinslaken auf der Tür.
In der türkischen Millionenstadt Bursa kennt sich Özkan Yildiz eigentlich gut aus. Seine Familie besitzt im Stadtteil Inegöl ein Haus. Aber was er dann in diesem Sommer in einer Vorhalle des städtischen Krankenhauses entdeckte, überraschte ihn dann doch. Wer kann auch damit rechnen, im Nordwesten der Türkei auf ein Stück Dinslakener Stadtgeschichte zu stoßen?
Dass es sich bei dem Oldtimer genau darum handelte, dafür sprach jedenfalls der Aufdruck auf der Seite: „Stadt Dinslaken“, prangt dort in schwarzen Lettern auf den Türen, darunter das alte Stadtwappen, die Dinslakener Burg auf rotem Grund.
Der Wagen steht im städtischen Krankenhaus von Bursa in einer Reihe mit anderen Rettungsdienst-Veteranen in einer Ausstellung, die dort seit einigen Jahren zu sehen ist. Im Gegensatz zu den anderen Fahrzeugen trägt der Wagen aus Dinslaken kein türkisches Kennzeichen. „DIN -TR 112“ ist schwarz auf weiß auf dem Nummernschild zu lesen.
Özkan Yildiz‘ Neugier war geweckt. Durch eine Infotafel in der Ausstellung erfuhr er, dass der Wagen aus einer 1965er-Baureihe stammt. Wann und wie lange er in Dinslaken im Einsatz war – unklar. „Wenn das Nummernschild echt ist, muss der Wagen auf jeden Fall vor der Gebietsreform 1975 ausgegeben worden sein, danach war das DIN-Kennzeichen bis zur Kennzeichenliberalisierung 2012 nicht zugelassen“, erklärt uns Katharina Schinhan vom Stadtarchiv Dinslaken auf Nachfrage. Außerdem hat sie im Archiv Aufnahmen entdeckt, die Dinslakener Rettungswagen mit dem Motiv der Burg auf der Tür zeigen.
Wann und warum der Rettungswagen in die Türkei überführt, bleibt allerdings ein Rätsel. Vermutlich wird sich das in den 70er Jahren abgespielt haben. Bursa, so viel ist klar, war nicht die erste Anlaufstation nach dem Einsatz in Dinslaken. Das jedenfalls kann Hayrettin Göçmen berichten. Er ist Oberarzt im städtischen Krankenhaus von Bursa und hat die Ausstellung mit den Rettungswagen zusammengestellt. Özkan Yildiz hat mit ihm gesprochen. Und erfuhr, wie Göçmen vor wenigen Jahren einen Anruf Enek Köyünde erhielt, einem Ort in Anatolien, dem fernen Osten der Türkei.
36 Jahre lang hatte der Wagen dort gut versteckt und stillgelegt in einem Schuppen gestanden. Als dem Dorfältesten Kasim Sahin über Medienberichte zu Ohren kam, dass da jemand im 1100 Kilometer westlich gelegenen Bursa eine Sammelleidenschaft für alte Rettungswagen pflegte, meldete er sich bei Göçmen. Und der alte Benz aus Dinslaken fand einen neuen Abnehmer.
Der Dorfälteste konnte auch mehr darüber erzählen, wie das Dinslakener Rettungsfahrzeug die Jahre in Anatolien verbracht hatte. Die Gemeinde Enek Köyünde brauchte damals dringend einen Krankenwagen und war dankbar für den bewährten Daimler aus Dinslaken. Gut möglich, dass Gastarbeiter in Lohberg damals den Transport auf den Weg gebracht hatten, um Verwandte in Anatolien zu unterstützen.
Eine Zeit lang war der Wagen dann auch in der Türkei als Rettungsfahrzeug unterwegs. Als er auch dort durch modernere Technik verdrängt wurde, diente er als Transporter für Milchprodukte, später sogar als Übungsfahrzeug für Leute, die den Führerschein machen wollten.
Dann, es dürfte so Mitte, Ende der 80er Jahre gewesen sein, der Motorschaden. Das alte Rettungsschiff mit dem Dinslakener Stadtwappen, Blaulicht und Signalhorn über der Windschutzscheibe wurde eingemottet und in einem Schuppen untergebracht. Bis zur Wiederentdeckung durch Hayrettin Göçmen, den Wagen wieder für die Ausstellung aufbereitete.
Dabei, so berichtet Özkan Yildiz, sei wohl auch das Nummernschild gefunden und überarbeitet worden. Die Ziffern waren weitgehend verblasst. Bei der Restauration habe man dann den „DIN“-Schriftzug mit schwarzer Farbe nachgezogen, den weiteren Text aber geändert. TR für Türkei, 112 für die internationale Notrufnummer.
Wir bedanken uns herzlich bei Özkan Yildiz, Hayrettin Göçmen und Katharina Schinhan für die Unterstützung bei der Recherche.