Die Sozialen Dienste Niederrhein (SDN) sind seit Oktober im Alten Kasino zuhause. Das Team unterstützt im „Ambulant betreuten Wohnen“ Menschen mit schwerwiegender psychischer Erkrankung oder Suchterkrankung dabei, sich wieder hinauszuwagen, Kontakte zu knüpfen und ihren Alltag zu bewältigen. Geschäftsführerin Martina Witt hat uns erzählt, wie dieses niederschwellige Angebot abläuft und wie die Mitarbeiter:innen vertrauensvolle Beziehungen zu den Klient:innen aufbauen.
Gesellschaftliche Teilhabe ist das Ziel der ambulanten Betreuung. Ein Teammitglied – Sozialarbeiter*in, Pflegekraft oder Familientherapeut*in – begleitet den Klienten zum Beispiel beim Einkaufen, bei Arzt- oder Behördenbesuchen oder zum Jobcenter und strukturiert gemeinsam den Alltag. Wenn jemand schon länger erkrankt ist und es kaum alleine aus der Wohnung schafft, der Freundeskreis vielleicht fehlt, dann ist der SDN-Betreuer „oft der einzige Kontakt für den Menschen mit Behinderung“, berichtet Martina Witt. „Wir sind dann quasi erstmal die Gesellschaft für den Klienten und werben für den nächsten Schritt in Richtung Teilhabe“. Es geht darum, Vertrauen in eine Beziehung wieder zu lernen und die eigene Isolation zu überwinden.
Mitarbeitende mit türkischen und palästinensischen Wurzeln
„Gemeinsam mit unseren Klient*innen finden wir heraus, was sie besonders interessiert“, sagt die Geschäftsführerin, die mit ihrem Team in Lohberg, Dinslaken und Umgebung etwa 50 Menschen betreut. Das könne ein Nähkurs sein, den jemand besuchen will, aber vielleicht auch einfach ein Spaziergang am Tenderingsee. „Wir arbeiten kultursensibel und haben zwei Mitarbeitende mit türkischen und einen mit palästinensischen Wurzeln“, erzählt Martina Witt. Gerade in Lohberg ist das wichtig und hilfreich. „Wir sehen jeden Einzelnen mindestens einmal, oft mehrmals in der Woche. Wir treffen uns in der Wohnung, aber auch im Bergpark in Lohberg oder in unserem Büro im Alten Kasino. Wir begleiten zu niedergelassenen Ärzt*innen und zum Jobcenter oder Grundsicherungsamt.“
Der SDN „strickt ein Netzwerk rund um den Klienten“. Es gilt, den „Sozialraum zu erkunden“, also sich wieder in der Umgebung zu orientieren und am Leben teilzunehmen. Die Klienten sollen Verantwortung für ihre Symptome übernehmen und Selbstwirksamkeit spüren, das heißt verstehen, dass sie ihr Leben selbst aktiv beeinflussen und gestalten können.
Offenheit der Mitmenschen gegenüber psychisch Beeinträchtigten
„Sanftes Anforderungsmanagement“ nennt Martina Witt die Haltung der Betreuer:innen ihren Klienten gegenüber. „Wir suchen Aktivitäten, die nah am Menschen sind. Auch in Lohberg schaut das Team, welche Angebote es im Stadtteil gibt, und geht dann zusammen mit dem Klienten zu etwas, was ihm gefällt. Ziel ist dabei immer, dass sich der psychisch erkrankte Mensch irgendwann auch allein dorthin traut und die Erfahrung macht, willkommen zu sein. Das erfordert Offenheit bei den Mitmenschen gegenüber psychisch Beeinträchtigten. „Wir müssen alle umdenken“, betont Martina Witt und meint: Seelische Erkrankungen sollten nicht länger tabu sein. Sie können jeden betreffen und wir sollten lernen, Vorurteile und Hemmungen abzubauen. „Unsere Klienten haben nicht immer einen Sonnenstrahl im Gesicht“, sagt Witt. Aber vielleicht können andere Menschen ihnen einen Sonnenstrahl, ein Lächeln schenken?
Info: SDN arbeitet im Auftrag der Klient:innen und wird getragen vom Landschaftsverband Rheinland, den Jugendämtern und den kommunalen Trägern im Kreis Wesel. Der LVR ist in der Regel der Kostenträger der Teilhabe-Prozesse. BeWo-Rat: Die Mitwirkung der Adressat*innen/Klient*innen ist SDN ein großes Anliegen. Die Befähigung zur Gremienarbeit ist ein wichtiger Schritt in Richtung gesellschaftlicher Teilhabe.Vor zwei Jahren wurde der aktuelle BeWo-Rat gewählt; die Teamleitung informiert ihn über Planungen und Vorhaben und die Mitglieder geben uns Rückmeldungen bzw. bringen eigene Ideen ein.
In der Rubrik „Hintergrund“ ist ein Interview mit einer SDN-Klientin zu lesen, die als Mitglied im BeWo-Rat andere psychisch Erkrankte unterstützt, sowie ein Unternehmer-Interview mit der Geschäftsführerin.