Ruhrtriennale in Lohberg: Am 31. August 2017 wird in der Zentralwerkstatt Projecting [Space[ uraufgeführt. Wir haben uns ohne große Vorinformation ins Publikum gesetzt und einfach auf uns wirken lassen, was passierte. Ein Text von Julia und Gilla.
Es war spannend, irritierend, berührend, anregend, beängstigend und auch zum Kopfschütteln.
Wie wir von den Inszenierenden erfuhren, sollten die Tänzer einen Nomadenstamm aus der Zukunft darstellen, der in die heutige Zeit reist und sich über seine Darstellung mit und über unsere Welt auseinandersetzt.
Dass sich die Tanz-Performance ebenso in den Abend hineintasten würden, hatte Johan Simons, Intendant der Ruhrtriennale, bereits vorab in einem Gastbeitrag für „Zeit-Online“ angedeutet.
„Was die amerikanische Choreografin Meg Stuart hier kreieren wird, ist Ruhrtriennale at its best.Sie wird mit ihrem Ensemble etliche Wochen an diesem Ort verbringen, sie wird ihn, seine Architektur, seine Töne, die Nachbarschaft, all das, in sich aufsaugen und in eine neuartige Kreation einfließen lassen. So auch der Titel: Projecting [Space[ (auf Deutsch ungefähr: den Raum zu einem Projekt machen). Was genau das am Ende wird? Wir wissen es noch nicht. Und das finde ich wunderbar.“
Und jetzt sind wir da. Mittendrin, als Teil der Performance. „Der Anfang ist fließend, holen Sie Ihre Tickets bitte ab und halten sie bereit“, sagt die junge Frau am Einlass.
Wir sehen auf dem Schotterfeld hinter der Zentralwerkstatt große Metallgestelle, auf den Holzplanken sitzen einige Leute. Es gibt ein Zelt mit Brezeln und Getränken, aus Lautsprechern ertönt Musik. Ein Auto parkt in unmittelbarer Nähe, wild dekoriert mit Kleidung, Bändern, Pflanzen; ein Mann und eine Frau verändern ständig etwas daran und ziehen sich selbst immer wieder um, bizarre Kleiderkombinationen, bunt und schrill. Ob die zur Vorführung gehören?
Das ist anzunehmen, ebenso wie die Frau, die reglos auf dem Boden liegt und von Zeit zu Zeit mit einer Baggerschaufel hin und her transportiert wird; ein junger Mann der auf einem Gabelstapler liegend Steine sammelt sicher auch. Spaziergänger mit Hund, ein Pärchen in Badekleidung auf Mountainbikes, laute Gespräche von den Sitzplätzen, Leute in Liegestühlen – Publikum und Künstler scheinen sich zu mischen, bis alle Aktionen sich nach und nach Richtung Eingang bewegen. Die Darsteller sprechen lange Zeit kein Wort, sie bewegen sich umeinander und miteinander, auf dem Gelände, auf dem Gabelstapler und dem Bagger – offenbar erstaunt ob der Umgebung, die sie berühren, anfassen, bestaunen.
Durch das weit geöffnete Tor folgt die Zuschauergruppe den Akteuren in die Zentralwerkstatt , die so ganz anders aussieht als sonst. Die Atmosphäre ist kühl und nüchtern, große Industrieregale prägen das Bild. Die Darsteller nutzen den gesamten Raum, klettern auf und in den Regalen, nähern sich an, gehen auseinander, immer wieder verschiedene Gefühle zeigend – Angst, Freude, Irritation.
All das wird untermalt von einem stampfenden Geräusch wie von fernen Maschinen, das in der permanenten Vorhandenheit irgendwann auch bedrohlich wirkt. Ein riesiger, pendelnder Autoreifen setzt aus Lautsprechern Brumm- und Fauchgeräusche ab. Unsicher und staunend versuchen wir uns zu orientieren, nehmen Platz auf einem der riesigen Regale und beobachten die Künstler, die sich über die Gestelle kletternd verteilen, manchmal miteinander in Kontakt treten, manchmal die Zuschauer berühren.
Unter Beatbox-ähnlichen Geräuschen wird der nächste Bereich der Halle zum Spielort. Die Künstler bewegen sich in immer anderer Konstellation durch den Raum. Zuletzt rennen sie mit einem Gleitschirm durch den Raum und erzeugen einen angenehmen Luftzug.
Wieder kommt Bewegung ins Publikum, jeder der Akteure scheint eine andere Geschichte zu erzählen. In einer Holzhütte, die an einen Baucontainer erinnert, unterhalten sich ein Mann und eine Frau, scheinen sich Gedanken zu machen, auf welchem Stern sie gelandet sind, welche Geschöpfe sie dort entdecken können. Beobachten sie nur die Künstler, die unterschiedlichste Aktionen ausführen – vom Aufkleben diverser Gegenstände über scheinbar meditatives Geschehen, immer wieder akrobatisch anmutende Tänze – oder sind die Zuschauer Teil der zu entdeckenden Welt?
Ständig sind neue Aktionen zu sehen, die sich teilweise aus vorhergehenden entwickeln. So scheint eine komplett mit Farbpulver bemalte Frau im „Baucontainer“ zu duschen. Die Darsteller bewegen sich weiter, malen Zeichen mit Kreide und Pulver, bemalen sich mit Glitzerfarbe und blauen Farbpigmenten, das Ganze gipfelt in einem wilden Tanz mit Gesang und Bambussstocktrommeln, wild, laut, fast wahnsinnig anmutend.
Ein drehender Lautsprecher quirlt den immer lauter werdenden Wortgesang durch die Halle. Auf dem Boden sind Pulver-Gemälde entstanden, blau glitzernd und braun. Im Vorbeigehen zum nächsten Platzwechsel erkennt man: das braune Pulver ist Kaffee, den Geruch empfinden wir als wohltuend bekannt.
An einem großen Lagerfeuer sammeln sich zum Ende Künstler und Publikum, es wird applaudiert – das Ende scheint ebenso fließend wie der Anfang.
Wir sind uns bis zum Ende nicht sicher, wie wir den Abend gefunden haben. Er hat Spuren hinterlassen, das ist sicher. Sowohl positive als auch negative Empfindungen bleiben, es war zu keinem Zeitpunkt langweilig, sondern immer spannend, bisweilen anstrengend laut. Die wenigen Worte, die in den Umgebungsgeräuschen und Aktionen fast untergingen, waren schwer zu verstehen. Gefühle wurden hingegen direkt transportiert, selber fühlbar.
Unser Fazit: Es war ein tolles Experiment, vielleicht müsste noch ein bisschen mehr zu den Hintergründen und Motivationen im Vorfeld erklärt werden, damit man sich auf den Abend besser einlassen kann.
Auch ein Reporter vom Deutschlandfunk hat seine Eindrücke geschildert. Seine Bilanz: Eine originelle Performance zwischen Meditation und Ekstase. Hier der Link zum Text.