Im Unterricht auf dem Flur liegen, einen Test schreiben, wann man will – wo gibt es denn so was? Ab Beginn des neuen Schuljahres in der GGS Lohberg! Rektorin Jessica Steigerwald ist etwas aufgeregt, denn nun soll alles anders werden in der Grundschule: Die Kinder können flexibler lernen und nach ihren individuellen Bedürfnissen sowie dem eigenen Leistungsstand vorgehen. „Aus den Lehrer:innen werden dann eher Begleiter:innen, das ist eine riesige Umstellung und wird noch Zeit in Anspruch nehmen“, kündigt Jessica Steigerwald an.
Lernen, so wie jedes Kind es braucht
Ein Beispiel für das neue System: Die ganze Zeit bis zur Pause im Klassenzimmer auf dem Stuhl sitzen, wenn man Kummer hat und sich nicht konzentrieren kann, so was soll nun vorbei sein in der GGS. Jessica Steigerwald beschreibt die Freiheiten des Systems: „Wenn ein Kind sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht am Unterricht beteiligen kann, darf es sich auch erstmal woanders hinlegen und zur Ruhe kommen, damit es anschließend besser lernen kann. Wir gucken genau hin: Was braucht ein Kind, um lernen zu können?“
„Das Lernen soll selbst gesteuert werden“, erklärt die Rektorin. Jedes Kind kann nach dem Durchlaufen einer Übungseinheit selbst entscheiden, wann es erst einen Selbstest und danach einen Test zur Lernstandsdiagnose schreiben möchte. Da die Lehrkräfte nicht überall sein können, verfügt jedes Kind auch über QR-Codes für Erklärvideos. Die Grundschüler:innen müssen während des Unterrichts nicht im Raum bleiben, sondern dürfen zum Beispiel auch im Flur auf dem Boden liegen und dort eigenständig lernen, was sie sich vorgenommen haben. Als Orientierung dient ihnen ihr individueller Wochenplan.
Schulstunden sind nun 60 Minuten lang statt 45
In der GGS soll aber kein großes Durcheinander entstehen, sondern im Gegenteil kindgerechtere Strukturen. „Durch das Zutrauen der Selbststeuerung, das Mitbestimmen und einheitliche Regeln und Rituale können die Kinder ihre mit in die Schule gebrachte Leistungsbereitschaft aufrecht erhalten und Engagement zeigen“, betont die Rekorin. Klassenleher:innen gibt es auch weiterhin. Eine große Verbesserung sieht sie darin, dass die Schulstunden ab August statt 45 Minuten wie bisher nun 60 Minuten dauern werden. „Diese Länge ist optimal. Wir müssen nicht mehr durch die Schulstunde hetzen und machen auch keine Doppelstunden mehr, denn die sind für die Kinder zu lang.“
Ein wichtiges Ziel der Umstellung ist es, dass gute Schüler:innen nicht mehr von den langsamer Lernenden ausgebremst werden – denn jedes Kind darf im eigenen Tempo vorgehen. Das Motto heißt „Fördern und Fordern“. „Starke Kinder werden stärker“, verspricht Jessica Steigerwald. Sie will mit dem neuen Sytem auch erreichen, dass mehr talentierte Kinder aus Lohberg später einen höheren Schulabschluss machen können. „Das alte Schulsystem hat nicht mehr funktiniert“, sagt sie, „weil unsere Schülerschaft immer heterogener wird. Viele Kinder benötigen viel Entwicklung bei der deutschen Sprache, andere aber nicht.“
Auch neu: Offener Anfang von 8 bis 8.30 Uhr
Der Schultag wird mit einem offenen Anfang von 8 bis 8.30 Uhr beginnen. Das hat viele Vorteile: Zu spät kommende Kinder werden nicht gestresst, da in der Zeit noch Organisatorisches läuft, um danach besser ins Lernen zu finden. In dieser Zeit räumen die Kinder ihre Schulsachen aus und verstauen ihre Tornister. Außerdem sucht sich jedes Kind einen Platz in seiner Lernheimat. Feste Sitzplätze gibt es nicht mehr. Und die Kinder tragen sich morgens dafür ein, ob sie in der ersten oder zweiten Schicht zu Mittag essen möchten und in welchem Raum sie die andere Hälfte der Mittagspause verbringen wollen. Sind die Kleineren dabei unsicher, bekommen sie Unterstützung von den Erwachsenen.
Die Schulkonferenz, das Schulamt und die Schulrätin fänden das neue System übrigens toll, freut sich die Rektorin, und das Kollegium sei begeistert. „In die Entscheidung dafür waren alle eingebunden, auch die Sozialarbeiter:innen und Erzieher:innen. Vor zwei Jahren haben wir diese Vision gemeinsam entwickelt. Wir wollen den Schulalltag unseren Bedürfnissen anpassen und rhytmisieren.“
„Allerdings wrid sich erst während des Schuljahres zeigen, ob wir mit dem neuen System komplett richtig liegen, rund wird so ein Experiment erst im Machen“, meint die Rektorin. Da die klassische Lehrerrolle sehr auf Kontrolle ausgelegt war und das nicht mal eben abzulegen ist, stelle das neue System auch die Lehrkäfte vor eine „Riesenherausforderung“. „Wir brauchen ganz viel Kommunikation, damit es klappt.“ Wöchentliche Teamsitzungen mit allen Mitarbeitenden sollen dabei helfen.
Expertin für zukunftstaugliche Grundschulkonzepte
Die ideenreiche Rektorin ist fortgebildete Beraterin für pädagogische Architektur und berät auch andere Schulen dabei, wie sie die Räumlichkeiten ihrer Schule und ihre pädagogischen Aufgaben optimal verbinden können. Lohberg kann sich also über eine engagierte Expertin für zukunfstaugliche Grundschulkonzepte freuen. Doch Jessica Steigerwald betont auch, dass es ohne das Team nicht funktionieren kann. In Lohberg hat sie Offenheit für Veränderung und ein besonderes Engagement der Teamkolleg:innen vorgefunden.
Das gesamte Kollegium, Eltern und Kinder sind sehr gespannt darauf, wie sie sich im neuen System zurecht finden werden. Am wichtigsten wird sein, dass die Kinder sich darin sicher fühlen, Spaß am Lernen haben und ihr eigenen Fortschritte machen. Und, wenn die Erwachsenen sich in der Lohberger „Zukunftsschule“ wohler fühlen als bisher, kommt das natürlich auch den Schüler:innen zugute. Jessica Steigerwald hofft, dass die GGS mit diesem Weg ein Vorbild für andere Schulen sein kann.