Lohberg 1916: Die nach dem Vorbild englischer Gartenstädte 1907 begonnene Siedlung ist im Aufbau. Das Ledigenheim wird fertiggestellt, um die unverheirateten Bergarbeiter unterbringen zu können. August Thyssen hatte 1897 mit dem Bau eines Walzwerkes in Dinslaken begonnen und nach 1900 durch die „Gewerkschaft Deutscher Kaiser“ das Zechengelände und das Areal der Gartenstadt erworben.
Die Kohleförderung hat 1912 begonnen. Da wegen der Einberufung zum Heeresdienst Arbeitskräfte fehlen, arbeiten auch Hunderte Kriegsgefangene untertage: Franzosen, Belgier, Engländer, Russen, Italiener und Portugiesen.
Seit zwei Jahren ist Erster Weltkrieg
Nun ist seit zwei Jahren Krieg. Die Männer, die nicht an der Front sind, schuften auf der Zeche. Die Frauen versuchen zuhause zurecht zu kommen und ihre Familien zu ernähren. Seit zwei Jahren können sie in Lohberg in der Konsumanstalt einkaufen. Aber es fehlt an frischen Lebensmitteln und der Markt in Dinslaken ist weit weg. Da kommt den Frauen eine Idee ….
Wir schauen in das alte Tagebuch, das eine Lohbergerin vor über 100 Jahren schrieb:
„Ich habe mit den anderen Frauen gesprochen. Wir brauchen mehr frisches Gemüse für unsere Kinder. Und wenn die Männer hungrig von der Schicht kommen, müssen wir die irgendwie satt kriegen. Warum haben wir keinen eigenen Markt? Die Gewerkschaft sagt, dass schon über 4.000 Seelen hier leben! Jede Woche ziehen die Bauern aus Hünxe hier vorbei. Sie fahren mit ihren Pferdekarren immer über die Bergerstraße zum Markt in Dinslaken. Wir haben beschlossen, dass wir uns an die Straße stellen und die Bauern aufhalten. Sie sollen uns etwas von ihren frischen Waren verkaufen. Kartoffeln, Kohl, Bohnen, alles was wir brauchen. Morgen früh geht es los, wir sind fest entschlossen.“
„Halt, haltet an!“ schreien die Frauen
Am nächsten Morgen: 30 bis 40 Frauen machen sich auf zur Bergerstraße. In der Ferne sehen sie schon die Bauern heranziehen. „Geh Du vor, Erna, Du hast die kräftigste Stimme und kannst Dich durchsetzen“, drängen die anderen Frauen. Erna gibt sich einen Ruck, baut sich mitten auf der Straße auf und stemmt die Arme in die Hüften. „Halt!“, schreit sie den Bauern entgegen. Die anderen Frauen stimmen ein. „Halt, haltet an!“
So oder so ähnlich kann es gewesen sein. Denn dieses Tagebuch gibt es gar nicht. Aber Katharina Schinhan, seit Oktober leitende Stadtarchivarin in Dinslaken, hat kürzlich im ThyssenKrupp Archiv eine Akte gefunden, in der diese beherzten Lohbergerinnen vorkommen. Den Tipp dazu hat ihr die Lohberger Stadtplanerin Anja Sommer gegeben, die sich gut mit der Geschichte der Gartenstadt und der Zeche auskennt.
Gewerkschaft Deutscher Kaiser sagte „ja“
„Diese Frauen haben damals erreicht, dass auf dem Johannesplatz – damals Johannisplatz – der Wochenmarkt gegründet wurde“, erzählt Katharina Schinhan. „Der Bedarf nach einem Markt war bei den Menschen sehr groß. Die „Gewerkschaft Deutscher Kaiser“, die den Ortsteil von der Stadt überschrieben bekommen hatte, war einverstanden und dann es ging relativ schnell. Die Stadt sollte die Genehmigung für den Markt erteilen und wollte dafür den Grund zurückhaben. Sie hat ihn aber nicht bekommen.“ Das alles geht aus der historischen Akte hervor (thyssenkrupp Corparate Archives, TLi 2043).
Der zentrale Standort für den Markt war schließlich bereits vorhanden: der mit Bäumen gesäumte, aber ansonsten leere Johannisplatz lag und liegt zentral mitten in der Gartenstadt.
Bauern aus Hünxe ließen sich darauf ein
Die tatkräftigen Frauen hatten Erfolg: Die Bauern aus Hünxe ließen sich auf ihre Bitten ein. Schließlich konnten sie auf dem Weg nach Dinslaken schon ohne Umwege am Straßenrand einen Teil ihrer Ware verkaufen, laut der alten Akte zum regulären Preis. Da der Marktbetrieb an der Bergerstraße keine Dauerlösung sein konnte, ließen sich die geschäftstüchtigen Bauern bald darauf ein, ihre Ernte zwei- bis dreimal wöchentlich auf dem Johannisplatz feilzubieten.
So begann die Geschichte des Lohberger Marktes, der heute noch der Mittelpunkt des Lohberger Einzelhandels ist und über die Stadtgrenzen hinaus beliebt.
Danke, ihr Lohberger Frauen!