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„Der Muezzin macht einen am Wochenende wach“, lautet ein Urteil über das Leben in Lohberg. Eine peinliche Aussage.

Teil zwei unserer Serie, in der wir (Vor-)Urteile über Lohberg einem Check unterziehen: Diesmal befassen wir uns mit der Aussage „Der Muezzin macht einen am Wochenende wach.“ Kein Scherz, so war es in einer Diskussion auf Facebook zu lesen.

Peinlich für den Verfasser

Um es kurz zu fassen: Mehr Blödsinn geht nicht. Der Satz wirft kein gutes Licht auf seinen Verfasser. Denn in Lohberg ruft die Ditib-Moschee öffentlich nur einmal in der Woche öffentlich zum Gebet, nämlich am Freitagmittag, wenn die Sonne am höchsten steht.

Von einer Störung „am Wochenende“, also samstags oder sonntags, kann schon mal gar nicht die Rede sein. Ganz schön peinlich, das Ganze. Denn wer an einem Freitag zur Mittagszeit durch den Gebetsruf geweckt wird, hat vermutlich ganz andere Probleme.

Gebetsruf seit 2001

In Lohberg gibt es den so genannten Adhān, wie der Gebetsruf auch heißt, schon bald 20 Jahre. Im Frühjahr 2000 brauchte es dafür weder einen Antrag noch eine Genehmigung. „Der Moschee-Verein hat sogar ein Recht darauf, ihn hörbar nach draußen zu übertragen, wenn denn nicht die zulässigen Grenzwerte überschritten werden“, stellte die damalige Bürgermeisterin Sabine Weiss klar.* Seitdem gehört der Gebetsruf zur Normalität des Zusammenlebens in einem Stadtteil mit wohl rund 2500, vielleicht auch 3000 Muslimen.

Die Regelung hat Bestand bis heute. Jeden Freitag schallt je nach Jahreszeit zwischen 12.20 Uhr und 13.40 Uhr per Lautsprecher eine Stimme mit maximal 50 Dezibel aus der Moschee und ruft die Gläubigen auf, zum Gebet zu kommen. 500 bis 600 von ihnen zieht es dann in die Räume an der Lohbergstraße.

Gebetsruf gehört zur Normalität

„Zum Gebet rufen wir fünfmal am Tag, dann aber in der Moschee“, erklärt uns Yaşar Şanlı. Nur freitags nimmt er sich das Funkmikrofon und ist weit über die Moschee hinaus zu hören. Schon früh hat ihn diese Aufgabe fasziniert. Mit 5 oder 6 lernte er als kleiner Lohberger Junge bei seinem Lehrer, worauf es beim Gebetsruf ankommt. Den Klang der Stimme, die Betonungen, die Aussprache und Bedeutung der arabischen Worte. Heute gibt er sein Wissen weiter und unterrichtet selbst.

Ernsthaften Streit hat es um den Gebetsruf in Lohberg nie gegeben. Von Beginn an hat die Moschee-Gemeinde großen Wert auf das Miteinander gelegt. Vor der Einführung des Gebetsrufes suchte sie das Gespräch und holte die Meinung der Kirchengemeinden und der Stadtverwaltung ein. Keinesfalls, so die Moschee-Vertreter damals, wolle man den Ruf als Demonstration der Stärke verstanden wissen.

Ein heißes Eisen

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich die Stimmung seit dem Jahr 2000 verschlechtert hat. Der öffentliche islamische Ruf zum Gebet ist in Deutschland mittlerweile ein heiß umstrittenes Thema. Rechte Parteien wie die AfD würden ihn am liebsten verbieten. Weil „der Islam“ damit angeblich seine Überlegenheit demonstrieren wolle. Die Frauen und Männer der Ditib-Moschee in Dinslaken können über so etwas nur den Kopf schütteln. Genauso wie die allermeisten Islam-Wissenschaftler.

„Das im Gebetsruf enthaltene Glaubensbekenntnis, ‚Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet‘, bringt lediglich verbindende religiöse Überzeugungen zum Ausdruck.“

Islam-Wissenschaftlerin Susanne Schröter auf welt.de, 19. April 2016

Wortwörtlich heißt es im Ruf des Muezzin laut deutscher Übersetzung auf Wikipedia:

Allah ist groß (größer als alles und mit nichts vergleichbar)

Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah

Ich bezeuge, dass Mohammed Allahs Gesandter ist

Eilt zum Gebet

Eilt zur Seligkeit (Heil/Erfolg)

Allah ist groß (größer als alles und mit nichts vergleichbar)

Es gibt keine Gottheit außer Allah

Im Original heißt „Allah ist groß“ auf arabisch „Allāhu akbar“. Es gehört zur Tragik dieser Zeit, dass dieser Satz bei so vielen Menschen Angst auslöst, seitdem Terroristen ihn für ihre Zwecke missbraucht haben. In der Wahrheit des gelebten Islam in Deutschland geht es um etwas ganz anderes. Eine anschauliche Erklärung der eigentlichen Bedeutung gibt die Wissenschaftlerin Halima Krausen in einem Bericht des NDR:

„Gott ist größer als das, was mich beschäftigt. Gott ist größer, als was ich mir von ihm vorstelle, was ich mir überhaupt vorstelle, als das, was mir im Moment wichtig zu sein scheint, größer als meine Probleme, größer als meine Sorgen. Dass man loslässt, dass man Abstand nimmt davon.“

Halima Krausen auf ndr.de, 22. Juni 2016

Aus unserer Erfahrung heraus können wir nur sagen: Wann immer wir die Moschee besucht haben, wurden wir mit offenen Armen und großer Herzlichkeit empfangen. Auch dem Vorstand der Gemeinde ist es wichtig, dass die Türen allen offenstehen, die sich über die Moschee, den Islam und das Leben in der Gemeinde informieren wollen.

Gute Gelegenheit dazu bietet übrigens eine Stadtteilführung mit Ömür Hafizoglu oder der Tag der offenen Moschee am 3. Oktober. Einfach reinschneien klappt aber genauso gut.

*Ein gutes Interview zur rechtlichen Beurteilung des Gebetsrufs, dem Anspruch auf Religionsfreiheit und seinen Grenzen haben wir auf islamiq.de unter dem Titel „Der Gebetsruf ist Ausdruck unserer multireligiösen Gesellschaft“ gefunden.


Serie: Vorurteile über Lohberg im Check

Im März 2019 haben wir mit der Mittendrin-Redaktion damit begonnen, die gängigsten Vorurteile über den Stadtteil Lohberg genau unter die Lupe zu nehmen, ehrlich und ergebnisoffen. In diesem Sinne auch an euch, liebe Leser, der Hinweis: Solltet ihr der Meinung sein, wir haben in unserer Recherche eine Schlagseite oder haben etwas übersehen, dann schreibt uns an info@lohberg-mittendrin.de!

Im Übrigen: Habt ihr Lust, uns bei unserer Serie zu unterstützen? Wir suchen noch Gesprächspartner, die uns aus ihren Erfahrungen mit dem Stadtteil berichten, und wir suchen nach Menschen, die die Neugier haben, mit anderen zu sprechen und deren Sicht auf Lohberg kennenzulernen.

Acht weitere Vorurteile gilt es noch zu überprüfen. Mit Ernsthaftigkeit und der nötigen Offenheit für unangenehme Wahrheiten da, wo es nötig ist. Mit Humor dort, wo es möglich ist. Es geht ums Schreiben, Fotografieren, Filmen und natürlich Recherchieren. Meldet euch, wenn ihr Interesse habt!

Bisherige Folgen

Vorurteile-Check (1): Wer hat Angst vor Lohberg in der Nacht?

Serienstart: Zehn nicht ausgedachte Vorurteile über Lohberg

Gastbeitrag: Keine Spur von Hass